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    Die Reformation: das nötige Verhängnis



Am Reformationstag und zur Eröffnung der „Luther-Dekade”, die von jetzt an in Sachsen-Anhalt bis zum 500. Jahrestag des Thesen-Anschlags von 1517 abgefeiert wird, eine nach wie vor unentschiedene Frage: Ist „die Tat” Luthers, diese beispiellose und folgenreichste Revolution, ein Bruch und Neubeginn, den wir auch heute noch begrüßen sollten? Oder ist die Reformation das Verhängnis, das die Christen entzweite und den Glauben schwächte? _____________________________________________________________


Ich habe - nach einem bedrückend-lustigen Einstieg, nämlich einigen Zitaten aus Zeitungen, die sich des Reformationsereignisses datumsgerecht erinnerten - hauptsächlich die wirkungsmächtige Deutung der Reformation vorgestellt, die wir Hegel verdanken.
Dazu lagen den Teilnehmern die folgenden Textauszüge vor (sämtlich aus Hegels Werken):


Hegel über die Reformation
Das große geschichtliche Pathos:


Die Reformation ..., [das ist] die alles verklärende Sonne, die auf jene Morgenröte am Ende des Mittelalters folgt ...
     (Philosophie der Geschichte)


Hiermit ist das neue, das letzte Panier aufgetan, um welches die Völker sich sammeln, die Fahne des freien Geistes, der bei sich selbst, und zwar in der Wahrheit ist und nur in ihr bei sich selbst ist. Dies ist die Fahne, unter der wir dienen und die wir tragen. Die Zeit von da bis zu uns hat kein anderes Werk zu tun gehabt und zu tun, als dieses Prinzip in die Welt hineinzubilden ... Recht, Eigentum, Sittlichkeit, Regierung, Verfassung usw. müssen nun ... dem Begriffe des freien Willens gemäß und vernünftig seien. ... In diesem Sinne muß man es fassen, daß der Staat auf Religion gegründet sei. Staaten und Gesetze sind nichts anderes als das Erscheinende der Religion an den Verhältnissen der Wirklichkeit.
Dies ist der wesentliche Inhalt der Reformation; der Mensch ist durch sich selbst bestimmt, frei zu sein.

     (Philosophie der Geschichte)

Die Reformation wird als geschichtliches Ereignis verstanden und in sofern nicht auf die protestantische Konfession beschränkt. Hegel dazu:

... es ist Vorurteil, daß die Reformation nur Trennung von der katholischen Kirche [sei], - Luther hat die katholische Kirche ebensosehr reformiert.
     (Geschichte der Philosophie)


Hegel sieht den Weltgeist am Werk:

Wir sehen [zunächst] die Langsamkeit des Weltgeistes ... Er höhlt das Innere aus, – der Schein, die äußere Gestalt bleibt noch; aber zuletzt ist sie eine leere Hülse, die neue Gestalt bricht hervor. In solchen Zeiten erscheint dann der Geist, als ob er, der vorher einen Schneckengang in seiner Entwicklung, Rückschritte getan, ... Siebenmeilenstiefel angelegt habe.
     (ebd.)

Hegel sieht mit der Reformation die „dritte Periode” des Christentums anbrechen – nach dem „Reich des Vaters” und dann dem „Reich des Sohnes”, das ... die Erscheinung Gottes nur in Beziehung auf die weltliche Existenz [war], auf sie als auf ein Fremdes scheinend. Das Reich des Geistes ist die Versöhnung von Diesseits und Jenseits, heiliger und profaner Welt usw.
     (Philosophie der Geschichte)

Also:

Die Hauptrevolution ist in der Lutherischen Reformation eingetreten, als aus der unendlichen Entzweiung und der greulichen Zucht, worin der hartnäckige germanische Charakter gestanden hatte und welche er hatte durchgehen müssen, der Geist zum Bewußtsein ... seiner selbst kam ... ... die Erde ..., menschliche Tugenden und Sittlichkeit, das eigene Herz und das eigene Gewissen fingen an, ... etwas zu gelten. Galt [in der alten] Kirche die Ehe [zwar] nicht als etwas Unsittliches, so galten doch Entsagung und Ehelosigkeit höher, während jetzt die Ehe als ein Göttliches erschien. Armut galt für höher als Besitz und von Almosen leben für höher als von seiner Hände Arbeit sich redlich zu nähren; jetzt aber wird gewußt, daß nicht Armut als Zweck das Sittlichere ist, sondern von seiner Arbeit leben und dessen, was man vor sich bringt, froh zu werden. Gehorsam, blinder, die menschliche Freiheit unterdrückender Gehorsam war das Dritte, dagegen jetzt neben Ehe und Besitz auch die Freiheit als göttlich gewußt wurde.
     (Geschichte der Philosophie)


Kern dieses reformatorischen Glaubens:

Dies ist nun das, was der Lutherische Glaube ist, daß der Mensch in Verhältnis zu Gott stehe ... Seine Empfindung, sein Glauben, schlechthin das Seinige ist gefordert, – seine Subjektivität, die innerste Gewißheit seiner selbst; nur diese kann wahrhaft in Betracht kommen in Beziehung auf Gott.      (Geschichte der Philosophie)


Was die Reformation erbracht habe, sei so die Versöhnung von Diesseits und Jenseits:
Dem Endlichen, Gegenwärtigen ist seine Ehre gegeben; das ist an sich seiende Versöhnung des Selbstbewußtseins mit der Gegenwart. Von dieser Ehre gehen die Bestrebungen der Wissenschaft aus.
     (ebd.)


Nun die Wirkungen der Reformation:

Es ist schon oben von dem Verhältnis der neuen Kirche zur Weltlichkeit gesprochen worden, und jetzt ist nur noch das Nähere anzugeben. Die Entwicklung und der Fortschritt des Geistes von der Reformation an besteht darin, daß der Geist, wie er sich seiner Freiheit durch die Vermittlung, welche zwischen dem Menschen und Gott vorgeht, jetzt bewußt ist in der Gewißheit des objektiven Prozesses als des göttlichen Wesens selbst, diesen nun auch ergreift und in der Weiterbildung des Weltlichen durchmacht. Es ist durch die errungene Versöhnung das Bewußtsein gegeben, daß das Weltliche fähig ist, das Wahre in ihm zu haben, wogegen das Weltliche vorher nur für böse galt, unfähig des Guten, welches ein Jenseits blieb. Es wird nun gewußt, daß das Sittliche und Rechte im Staate auch das Göttliche und das Gebot Gottes sind und daß es dem Inhalte nach kein Höheres, Heiligeres gibt. Daraus folgt, daß die Ehe nicht mehr die Ehelosigkeit über sich hat. Luther hat eine Frau genommen, um zu zeigen, daß er die Ehe achte, die Verleumdungen, die ihm daraus entstehen würden, nicht fürchtend. Es war seine Pflicht, es zu tun, sowie freitags Fleisch zu essen, um zu beweisen, daß dergleichen erlaubt und recht ist, gegen die vermeintliche höhere Achtung der Entbehrung. Der Mensch tritt durch die Familie in die Gemeinsamkeit, in die Wechselbeziehung der Abhängigkeit in der Gesellschaft, und dieser Verband ist ein sittlicher; wogegen die Mönche, getrennt aus der sittlichen Gesellschaft, gleichsam das stehende Heer des Papstes ausmachten, wie die Janitscharen die Grundlage der türkischen Macht. Mit der Priesterehe verschwindet nun auch der äußere Unterschied zwischen Laien und Geistlichen. - Die Arbeitslosigkeit hat nun auch nicht mehr als ein Heiliges gegolten, sondern es wurde als das Höhere angesehen, daß der Mensch in der Abhängigkeit durch Tätigkeit und Verstand und Fleiß sich selber unabhängig macht. Es ist rechtschaffener, daß, wer Geld hat, kauft, wenn auch für überflüssige Bedürfnisse, statt es an Faulenzer und Bettler zu verschenken; denn er gibt es an eine gleiche Anzahl von Menschen, und die Bedingung ist wenigstens, daß sie tätig gearbeitet haben. Die Industrie, die Gewerbe sind nunmehr sittlich geworden, und die Hindernisse sind verschwunden, die ihnen von seiten der Kirche entgegengesetzt wurden. Die Kirche nämlich hatte es für eine Sünde erklärt, Geld gegen Interessen auszuleihen; die Notwendigkeit der Sache aber führte gerade zum Gegenteil. Die Lombarden (daher auch der französische Ausdruck lombard für Leihhaus) und besonders die Mediceer haben den Fürsten in ganz Europa Geld vorgestreckt. - Das dritte Moment der Heiligkeit in der katholischen Kirche, der blinde Gehorsam, ist ebenso aufgehoben worden. Es wurde jetzt der Gehorsam gegen die Staatsgesetze als die Vernunft des Wollens und des Tuns zum Prinzip gemacht. In diesem Gehorsam ist der Mensch frei, denn die Besonderheit gehorcht dem Allgemeinen. Der Mensch hat selbst ein Gewissen und daher frei zu gehorchen. Damit ist die Möglichkeit einer Entwicklung und Einführung der Vernunft und Freiheit gesetzt, und was die Vernunft ist, das sind nun auch die göttlichen Gebote. Das Vernünftige erfährt keinen Widerspruch mehr von seiten des religiösen Gewissens;...

     (Philosophie der Geschichte)


Darum blieben die Staaten, die keine Reformation durchgemacht hätten, stets revolutionsgefährdet:

Es ist nur für eine Torheit neuerer Zeit zu achten, ein System verdorbener Sittlichkeit, deren Staatsverfassung und Gesetzgebung ohne Veränderung der Religion umzuändern, eine Revolution ohne eine Reformation gemacht zu haben, zu meinen, mit der alten Religion und ihren Heiligkeiten könne eine ihr entgegengesetzte Staatsverfassung Ruhe und Harmonie in sich haben und durch äußere Garantien – z.B. sogenannte Kammern und die ihnen gegebene Gewalt, den Finanzetat zu bestimmen u. dgl. – den Gesetzen Stabilität verschafft werden. Es ist für nicht mehr als für eine Nothilfe anzusehen, die Rechte und Gesetze von der Religion trennen zu wollen, bei vorhandener Ohnmacht, in die Tiefen des religiösen Geistes hinabzusteigen und ihn selbst zu seiner Wahrheit zu erheben. Jene Garantien sind morsche Stützen gegen die Gewissen der Subjekte ...; es ist dies vielmehr der höchste, der unheiligste Widerspruch, das religiöse Gewissen, dem die weltliche Gesetzgebung ein Unheiliges ist, an diese binden und ihr unterwerfen zu wollen.
     (Enzyklopädie)


Aber ...

Die Vorstellung ..., daß die Gesetze, die Obrigkeit, die Staatsverfassung von Gott stammen, ... kann ... auch in der Form ausgesprochen werden, daß man Gott gehorcht, indem man den Gesetzen und der Obrigkeit folgt, den Mächten, welche den Staat zusammenhalten. Dieser Satz ist einerseits richtig, ist aber auch der Gefahr ausgesetzt, daß er ganz abstrakt genommen werden kann, indem nicht bestimmt wird, wie die Gesetze expliziert sind und welche Gesetze für die Grundverfassung zweckmäßig sind; so formell ausgedrückt heißt jener Satz: man soll den Gesetzen gehorchen, sie mögen sein wie sie wollen. Das Regieren und Gesetzegeben ist auf diese Weise der Willkür der Regierung überlassen.
Dieses Verhältnis ist in protestantischen Staaten vorgekommen, und auch nur in solchen kann es statthaben, denn da ist jene Einheit der Religion und des Staates vorhanden. Die Gesetze des Staates gelten als vernünftige und als ein Göttliches wegen dieser vorausgesetzten ursprünglichen Harmonie, und die Religion hat nicht ihre eigenen Prinzipien, die denen widersprechen, welche im Staate gelten. Indem aber beim Formellen stehengeblieben wird, so ist damit der Willkür, der Tyrannei und der Unterdrückung offener Spielraum gegeben. In England ist dies besonders zum Vorschein gekommen (unter den letzten Königen aus dem Hause Stuart), indem eine passive Obedienz gefordert wurde und der Satz galt, der Regent sei nur Gott über seine Handlungen Rechenschaft schuldig. Dabei ist die Voraussetzung, daß nur der Regent auch bestimmt wisse, was dem Staate wesentlich und notwendig sei; denn in ihm, in seinem Willen liegt die nähere Bestimmung, daß er eine unmittelbare Offenbarung Gottes sei. Durch weitere Konsequenz ist aber dies Prinzip dahin ausgebildet, daß es ins Gegenteil umgeschlagen ist; denn der Unterschied der Priester und Laien ist bei den Protestanten nicht vorhanden, und die Priester sind nicht privilegiert, die göttliche Offenbarung zu besitzen, noch weniger gibt es ein solches Privilegium, das einem Laien ausschließlich zukomme. Gegen das Prinzip der göttlichen Autorisation des Regenten ist daher das Prinzip derselben Autorisation gesetzt, die auch dem Laien überhaupt zukomme. So ist in England eine protestantische Sekte aufgestanden, welche behauptete, ihr sei durch Offenbarung eingegeben, wie regiert werden müsse; nach solcher Eingebung des Herrn haben sie eine Empörung aufgeregt und ihren König enthauptet. - Wenn also wohl im allgemeinen feststeht, daß die Gesetze durch den göttlichen Willen sind, so ist es eine ebenso wichtige Seite, diesen göttlichen Willen zu erkennen, und dies ist nichts Partikulares, sondern kommt allen zu.


     (Philosophie der Religion)

Und ...

Je mehr sich die Erkenntnis der endlichen Dinge ausgebreitet hat, indem die Ausdehnung der Wissenschaften fast grenzenlos geworden ist und alle Gebiete des Wissens zum Unübersehbaren erweitert sind, um so mehr hat sich der Kreis des Wissens von Gott verengt. Es hat eine Zeit gegeben, wo alles Wissen Wissenschaft von Gott gewesen ist. Unsere Zeit hat dagegen das Ausgezeichnete, von allem und jedem, von einer unendlichen Menge von Gegenständen zu wissen, nur nichts von Gott. Früher hatte der Geist darin sein höchstes Interesse, von Gott zu wissen und seine Natur zu ergründen, er hatte und fand keine Ruhe als in dieser Beschäftigung, er fühlte sich unglücklich, wenn er dies Bedürfnis nicht befriedigen konnte; die geistigen Kämpfe, welche das Erkennen Gottes im Innern hervorruft, waren die höchsten, die der Geist kannte und in sich erfuhr, und alles andere Interesse und Erkennen wurde für gering geachtet. Unsere Zeit hat dies Bedürfnis, die Mühen und Kämpfe desselben beschwichtigt, wir sind damit fertig geworden, und es ist abgetan. ...
Es macht unserem Zeitalter keinen Kummer mehr, von Gott nichts zu erkennen, vielmehr gilt es für die höchste Einsicht, daß diese Erkenntnis sogar nicht möglich sei. ... Unsere Zeit ... hat aus Gott ein unendliches Gespenst gemacht, das fern von uns ist, und ebenso die menschliche Erkenntnis zu einem eiteln Gespenste der Endlichkeit oder zu einem Spiegel, in den nur Schemen, nur die Erscheinungen fallen. ... unser Wissen und Wollen [ist jetzt auf] die Erscheinung angewiesen ... und die Wahrheit schlechterdings nur ein Jenseits ...
Diesen Standpunkt muß man dem Inhalte nach für die letzte Stufe der Erniedrigung des Menschen achten, bei welcher er freilich um so hochmütiger zugleich ist, als er sich diese Erniedrigung als das Höchste und als seine wahre Bestimmung erwiesen zu haben glaubt.

     (Philosophie der Religion)
 




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