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Die Wirtschaft geht zum Teufel [Philosophische Praxis Gerd B. Achenbach] || nach oben springen || Startseite Achenbach-PP.de

Vortrag bei den „Bieler Philosophie-Tagen 2007”



Gerd B. Achenbach

Die Wirtschaft geht zum Teufel



Meine sehr verehrten Damen und Herren – ich weiß: Sie glauben nicht an den Teufel. Aber das sollen Sie auch nicht. An den „glaubt” man nämlich nicht. Korrekt wäre, ihn zu fürchten. Noch besser, man ist vor ihm auf der Hut.
Sofern Ihr Unglaube allerdings bedeuten sollte, daß Sie meinen, den Teufel, den „gäbe” es gar nicht, der sei so eine haltlose, phantastische Erfindung hysterischer Finsterlinge aus religiös gestreßten oder fromm überkandidelten Zeiten, sind Sie eben nicht „auf der Hut” vor ihm. Und glauben Sie mir: das ist ihm gerade recht. So liebt er es. So hat er’s gern. Der Diabolus, der Verdreher und Verderber, hat nämlich schlichtweg kein Interesse daran, erkannt zu werden. Was verständlich ist.

Der Teufel will nicht erkannt werden



Ich erläutere Ihnen das. Nehmen wir an, Sie hätten ein Geschäft vor, bei dem Sie den Reibach machen, Ihr Geschäftspartner hingegen käme eher nicht auf seine Kosten. Werden Sie so dumm sein, ihm das zu sagen? Würden Sie sich damit brüsten und rufen: Heda, Leute, hört mal zu! Seht ihr? Ich lege hier gerade einen rein! Kaum. Und sehen Sie, soviel haben Sie vom Teufel, den es Ihrer Ansicht nach nicht gibt, und von seiner Logik fürs erste schon verstanden: Haben Sie ein Geschäftchen vor, das nicht so ganz koscher ist, ist Ihnen das Zwielicht lieber als daß die Betrügerei ans Licht des Tages kommt – weshalb man die unsauberen auch die „dunklen” Geschäfte nennt. Und die, die die krummen Dinger drehen, nennt man die lichtscheuen Gesellen, die, nicht anders als er, eben kein Interesse daran haben, erkannt zu werden. Denn sind sie erkannt, sind sie auch schon hinter Schloß und Riegel.
Halten wir bis dahin fest: Sie wollen nicht mehr an den Teufel glauben, und der Teufel liebt es nicht, erkannt zu werden. Sie bemerken: das paßt gut zusammen. Das ergänzt sich sozusagen wie Topf und Deckel.
Charles Baudelaire, Kenner auf unserem Gebiet, Verfasser der „Fleur du mal”, hat es begriffen. Von ihm stammt die lakonische Notiz:

Die schönste List des Teufels ist, daß er uns
überzeugt, er existiere nicht.


Seine Geschäfte gehen dann nämlich besser, er hat dann gewissermaßen freie Bahn. Man behindert niemanden, von dem man überzeugt ist, es gäbe ihn nicht ...
Soviel dazu und das alles nur zu Einstimmung.

Und nun zum Thema: „Die Wirtschaft geht zum Teufel ...”

Soviel ahnen Sie inzwischen, das ist nicht harmlos, etwa bloß redensartlich gemeint, so wie man sagt, etwas gehe zu Bruch oder den Bach hinunter. Das klingt zwar auch mit an, und soll es auch, betrifft aber erst das Ende vom Lied. Denn für den, der sich dem Teufel verschreibt, nimmt die Sache – so die traditionsverbürgte Überzeugung – ein schlimmes Ende.
Wie ist also sonst gemeint, was ich Ihnen als schauerliche These zumuten möchte, nämlich als die These: Die Wirtschaft geht zum Teufel?
Es gehört Courage dazu, es auszusprechen. Doch ich ermutige mich und erkläre Ihnen hiermit, wie’s gemeint ist. Nämlich so: Wer zum Teufel geht, der ist des Teufels. Damit ist es heraus.
Und jetzt geht’s los. Denn nun höre ich Sie sagen: Sollte ausgerechnet in der Wirtschaft, dort, wo eiskalt kalkuliert und mit harten Fakten und mit nichts als nackten Zahlen operiert wird, wo es unbarmherzig rational und illusionslos zugeht, wo man alle Flausen, zumal die theologischen längst hinter sich gelassen hat und statt dessen gnadenlos rechnet, wo man sich allein mit Tatsachen befaßt und nüchtern analysiert, was der Fall ist – sollte ausgerechnet in einer solchen Welt, die so sehr „Welt” ist und nichts sonst wie keine Welt zuvor, die geradezu beispielhaft aufgeklärt, säkularisiert, profaniert, das heißt – nach Max Webers wundervollem Wort – „entzaubert” ist, sollte, werden Sie sagen, ausgerechnet in dieser Welt der Wirtschaft der Glaube an den Teufel sein Revival haben?
Erlauben Sie mir – nachdem ich rasch noch einmal klargestellt habe, daß von einem „Glauben” an den Teufel nicht die Rede ist aus den genannten Gründen ... – erlauben Sie mir also, nicht unmittelbar auf Ihre Fragen einzugehen, sondern zunächst einmal in aller Unschuld meinerseits Ihnen mit einigen Fragen auf den Leib zu rücken und unbequem zu werden ...
Etwa mit dieser: Ist Ihnen aufgefallen, daß eigentlich alle, und zwar wirklich alle Kennzeichen, die soeben zur Kenntlichmachung der modernen, ökonomisch beherrschten Welt aufgezählt wurden, die alten Charakteristika des Diabolus und Widersachers waren? Das eiskalte Kalkül zu allererst, Kälte überhaupt, Illusionslosigkeit, Unbarmherzigkeit, das gnadenlose Pochen darauf, daß es in der Welt nun einmal so und nicht anders zugehe, und daß sich da nichts machen lasse – Basiskennzeichen des Zynismus schlechthin – , daß man die Dinge nehmen müsse, wie sie sind, um dann für sich das Beste herauszuschlagen, daß man, was nun mal der Fall ist, wertfrei und nüchtern sehen müsse und ohne Flausen, und daß die moralische Zimperlichkeit schon gar nicht ins Geschäft gehöre, sondern, um das Ziel zu erreichen, das man sich gesetzt habe, sei nun mal eine gewisse Rücksichtslosigkeit erforderlich, wer den Zweck will, müsse auch die Mittel akzeptieren, so sei es nun einmal, schließlich sei die Wirtschaft kein Wohltätigkeitsverein, und man habe auch nicht vor, sich durch Mildtätigkeit einen Himmelslohn zu erwerben, sondern hier, auf dem Markt, dem hart umkämpften, gelte es, Gewinne zu generieren, und wer sich nicht behaupte, der gehe eben unter – so ließe sich lange fortfahren, wie Sie wissen ... Sie alle kennen die Litanei: Der Markt, das Theater jener „unbekannten Hand” – was für eine Formel ...! – diese Aufführung mit der „schöpferischen Zerstörung” auf dem Programm. Ein Hoch dem Sieger, dem winner, die andern sind eben die loser.

Mister Mephisto



Sagen Sie: Erinnert Sie das alles, erinnert Sie dieser Geist womöglich an jemanden? Etwa an die moderne Gestalt in unserem zweifellos bedeutendsten Drama der Moderne, Goethes „Faust”? Wobei ich selbstverständlich nicht an den alten Herrn Professor denke, sondern an seinen schlechthin aufgeklärten, vorbildlich modernen, rücksichtslos rationalen, mit einem Wort zynischen Macher und Treiber, den genialen Wirtschaftsmanager und Politikberater (als der er sich im 2. Teil betätigt) – erinnert Sie das alles nicht irgendwie an Mephistopheles? Wissen Sie noch, was Mephistos Kommentar ist, da Faust, verzweifelt über das Schicksal Gretchens, sein Leben verflucht? Sein Kurzkommentar lautet lapidar: „Sie ist die erste nicht.” Heute kommentieren so die Statistiker.
Und haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, daß Goethe, um eine Gestalt verlegen, die zur Repräsentanz der modern times taugte, offenbar keine andere fand, als diesen Mephisto, der sich von der Hexe verbittet, als „Junker Satan” angesprochen zu werden? Hören Sie für einige wenige Zeilen hinein in das Stück! Sie werden etwas wiedererkennen von dem, was ich eingangs einleitend vorausgeschickt hatte:

DIE HEXE (in der Hexenküche).
   O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
   Seh' ich doch keinen Pferdefuß.
   Wo sind denn Eure beiden Raben?
MEPHISTOPHELES.
   ... die Kultur, die alle Welt beleckt,
   Hat auf den Teufel sich erstreckt;
   Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen;
   Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen? ...
DIE HEXE (tanzend)
   Sinn und Verstand verlier' ich schier,
   Seh' ich den Junker Satan wieder hier!
MEPHISTOPHELES.
   Den Namen, Weib, verbitt' ich mir!
   ... [Der] ist schon lang' ins Fabelbuch geschrieben;
Übrigens: 1780 wurde der Teufelsglaube im Berliner Gesangbuch ausgemerzt!
   Allein die Menschen sind nichts besser dran,
   Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
   Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
   Ich bin ein Kavalier, wie andre Kavaliere.
DIE HEXE (lacht unmäßig)
   Ha! Ha! Das ist in Eurer Art!
   Ihr seid ein Schelm, wie Ihr nur immer wart!

Kurz, halten wir fest: Man wird den Teufel dort zu suchen haben, wo die moderne Welt ihr modernstes Gesicht zeigt. Und was Goethes großartigen Text betrifft, hätte ich nur eine kleine Korrektur vorzuschlagen: „Den Bösen sind sie los, das Böse ist geblieben” – das träfe es wahrscheinlich ebenso gut, und allemal träfe womöglich besser, was unser Fall ist. Fragt sich nur: was das ist, „das” Böse, von dem ich nun meine, wir fassen es konkreter, lebendiger, anschaulicher auch, wenn wir es an Gestalten wie Mephistopheles studieren, denn grau, Ihr Lieben, ist alle Theorie ...
Also, fangen wir an. Erinnern Sie sich, mit welchen Worten sich Mephisto vorstellt, da er sich als „Pudels Kern” erweist?
Faust hatte des Hundetieres wegen ein großes Buhei veranstaltet, endlich haben die Beschwörungen gefruchtet, die Gestalt zerstiebt, der Nebel fällt, und hinterm Ofen tritt, verkleidet als fahrender Scholastikus, Mephistopheles hervor:

    MEPHISTO: Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?

Sehen Sie, da haben wir’s. Das ist des Pudels Kern.
Und so auch schon in der frühesten dramatischen Fassung, im „Doktor Faustus” des Christopher Marlowe:

    MEPHOSTOPHILIS: Nun, Faustus, sprich, was willst du von mir haben?

So tritt er dort auf. Und in der Tat: Das ist sein erstes Kennzeichen. Der Hallodri und Erzbösewicht empfiehlt sich als „dienstbarer Geist”. „Was steht zu Diensten?” Das ist sein Angebot. Andernorts stellt er sich vor als der, der beschafft und besorgt, und zwar alles; was immer nur gewünscht wird, das bringe er bei, und zwar sogleich, stante pede, unverzüglich, ohne alles Wenn und Aber, man bekomme, was man wolle, und solle es genießen, ohne Skrupel, ohne Reue. Die einzige Bedingnis laute: Der Versorgte und Umhegte, der Bediente – sagen wir der Kunde – solle weiter keine Fragen stellen. Was er bekommt, das soll er nehmen, wie’s damit zuging, sei nicht seine Sache, das solle er getrost dem überlassen, der es auftrieb, dem Beschaffer.
Kommt Ihnen das alles irgendwie bekannt vor?

„Kaltes Herz”



Zur Unterbrechung schiebe ich Ihnen die kurzgefaßte Nacherzählung eines ausgemacht klugen Märchens ein. Wir verdanken’s Wilhelm Hauff. „Das kalte Herz.”
Der arme Kohlenbrenner Peter Munk sehnt sich nach Reichtum und Ansehen. Damit geht’s los. Das »Glasmännlein« gewährt ihm drei Wünsche. Doch Peter, statt sich Verstand und Klugheit zu wünschen, will flotter Tänzer sein, „Tanzbodenkönig”, und immer so viel Geld im Beutel haben wie »Ezechiel«, der Dicke, den der Waldgeist, der »Holländer-Michel«, reich gemacht hat. Merke: Hier tritt Mephisto also als „Holländer-Michel” auf – und wirklich ist ja auch der Name Schall und Rauch. Doch wir sind mit Peters Wünschen noch nicht fertig: Er will drittens Eigentümer der ertragreichsten Glashütte im ganzen Schwarzwald sein. Gut: Wie gewünscht, so erfüllt, so war’s ausgemacht. Alles ist zur Stelle. Doch weil Peter bald schon Stammgast ist im Wirtshaus, geht’s mit der Glasbrennerei rasch bergab, und als der dicke Ezechiel sein ganzes Geld verspielt, ist Peter ebenfalls bettelarm. Da ist ihm der Holländer-Michel zu Diensten: Der verspricht ihm Reichtum, soviel er will, allerdings unter der Bedingung, daß er sein Herz hergebe und statt dessen mit einem künstlichen vorlieb nehme – damals war sowas noch aus Stein gemacht. Ein großartiges Bild: Das steinerne, jedenfalls kalte Herz garantiert seinem Empfänger Unempfindlichkeit für jede menschliche Regung. Das tilgt hinderliche Skrupel aus, macht das lästige Gewissen mundtot, schläfert störende Bedenken ein, und so geht jetzt ein Leben los in Saus und Braus. Kommt was in die Quere, wird es ausgeräumt. So verstößt er seine alte Mutter, die ist im Wege, und seine junge Frau, die in einem Anfall menschelnder Gefühligkeit einem armen alten Mann zu essen und zu trinken gab, wird kurzerhand erschlagen.
Daß Hauff dann für die armen Kinderlein noch einen glimpflich-versöhnlichen Schluß darangebastelt hat, übergehen wir.
Worauf es ankam, ist deutlich genug: Damit die Geschäfte ans Laufen kommen genügt – Intelligenz und Cleverneß vorausgesetzt –, daß geschäftsschädigende Hemmungen überwunden werden. Als Antrieb kommt dann noch der Neid hinzu, der scheele Blick, der vergleicht: „Das will ich auch!” „Warum der? Warum nicht ich?” In Wirtschaftskreisen heißt das: „Wir werden die Nummer Eins!” Dann muß nur noch das sperrige Gewissen über den Jordan geschickt werden, und wenn dann noch die nötige Portion Aufgeklärtheit hinzukommt, die sich angesichts von solchem Treiben gar nichts denkt, weil sie, was man sich da denken könnte, woran man sich erinnert fühlen dürfte, für abgeschmackten Mumpitz hält, für abgetan, für vorgestrig – dann ist der Pakt geschlossen.

„Was ihr wollt”



Ich will Ihnen etwas sagen, was Sie wahrscheinlich nicht gern hören. Wer der modernen Wirtschaftswelt ins kalte Herz sieht, versteht nur, was da vorgeht, wenn er sich noch nicht alle Erinnerung an den eigentlichen Gehalt aller großen Kultur, die uns einmal prägte, hat rauben lassen. Dann erinnerte er sich daran, daß die fürchterliche Gestalt, die man den „Versucher” nannte – bei Paulus hieß er in grandioser Vision der „Herr der Welt”, deus huius mundi – daß dieser Gegen- und Widergott als der Verführer galt. Womit er der Prototyp jener „Geheimen Verführer” ist, von denen später gesprochen wurde. Die Frage lautet: Womit, wodurch verführt er? Und wohin geht’s mit uns, wenn er uns verführt hat?
Archetypisch die Angebote, die der Verführer jenem Manne machte, der 40 Tage in der Wüste fastete. Lesen Sie’s nach. Matt. 4, Luk. 4. Dem Hungernden wird erstens Brot angeboten, und zwar in beliebiger Menge. Das zweite Angebot: Er möge sich vom Dach des Tempels stürzen und sehen, daß ihm nichts geschehe. Drittens, mit ausgestreckter Rechte über alle Länder weisend, wird ihm die Herrschaft offeriert. Worum also geht’s? Um Wohlstand, um Sicherheit, um Macht. Und Sie erinnern sich auch, wie der, der so in Versuchung gebracht werden sollte, reagiert? „Hebe dich hinweg von mir, Satan.” Versehen mit dem Kommentar, daß er, der Versuchte, von einem anderen Geist wisse als dem, der ihm da die Offerten mache.
Doch das Entscheidende aller dieser Versucher- und Verführer-Geschichten: Wie wird denn verführt? Womit denn?
Antwort: Die Menschen werden verführt mit sich selbst, mit ihren eigenen Wünschen. Sie werden verführt, indem es nach ihren Wünschen geht. Die Verführung ist, daß sie bekommen, was sie wollen. Die Devise des Verführers lautet: „Was ihr wollt!” (Und der Mann in der Wüste hat anderes gewollt als üblich ..., was ihn unverführbar machte.)

Der Unterschied



Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, daß jene Devise des „Was ihr wollt!” gerade nicht, und zwar ganz und gar nicht das Angebot des Gottes war? Der machte den Seinen keine verführerischen Angebote. Im Gegenteil: Der wollte umgekehrt etwas von uns. Und was er von uns wollte, war vorzugsweise unbequem, womöglich unbehaglich. Aber lassen wir das. Das führte hier zu weit.
Bleiben wir statt dessen noch ein wenig, soviel Zeit mir noch bleibt, beim Teufel. Schauen wir zu, was er treibt – auch wenn Sie selbstverständlich nach wie vor nicht meinen, daß sich von sowas, wie dem Teufel, reden lasse.
Was ist sein Wirken – wenigstens nach traditioneller Überzeugung? Verführt er uns etwa, zu lügen und zu betrügen? Weit gefehlt! Das ist Kinderaberglaube. Er redet uns ein, daß es „die Wahrheit” nicht gebe, daß die sogenannte Wahrheit vielmehr bloß eine Erfindung von vormodernen Philosophen oder von irgendwelchen Gottesmännern sei. Wenn es aber die Wahrheit nicht gibt, was soll dann noch Lug und Trug sein?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Freund von mir, Autor zahlreicher Bücher, erhält das Belegexemplar seines letzten Buches. Da staunt er, denn der Verlag hat seiner Arbeit einen Titel verpaßt, der schlechterdings nicht zum Inhalt des Buches paßt. Er ruft im Verlag an und beschwert sich. Zur Antwort erhält er: Ja ja, schon gut, man wisse das ja alles. Aber: „Glauben Sie uns, so verkauft sich das Buch. Sie werden sehen!”
Wenn bei uns für eine Volksaktie einer der bekanntesten Entertainer auf Plakaten warb, hat sich dann wohl noch irgendwer gefragt, ob der, der da wirbt, tatsächlich meint, wofür er eintritt? Lächerlich! Auf den Erfolg kommt’s an. Dies die Devise von Mister Mephisto.
Weil noch immer allerhand Kinderglaube im Umlauf ist, soweit es um den Erzfeind geht, eine weitere Erkundigung: Überredet er uns etwa, zu sündigen? Aber was denn! Das wäre Stümperei. Nein, er flüstert uns statt dessen zu, daß es so etwas wie Sünde nicht gebe. Daß das vielmehr – Sie erkennen inzwischen das Schema –, eine finstere Erfindung mittelalterlicher Priester sei. Und nun? Und nun können Sie endlich machen, was Sie wollen, ohne je dabei zu sündigen. Und der Einbläser läßt sich feiern als Befreier. Als Überbordwerfer. Als Spötter über alle Bedenkenträgerei. Und Gewissenhaftigkeit verlacht er als Gutmenschentum.

Das Ende vom Lied



Um schroff anzuschließen: Was kommt bei alldem heraus? Was wird herauskommen? Wie in allen Teufelspakt-Geschichten schlägt schließlich die vermeintliche Befreiung in Zwang um, in das bange Gefühl, irgendwie auf die schiefe Bahn geraten zu sein. Einige wenige zunächst beschleicht das unheimliche Empfinden, irgend etwas gehe da nicht mit rechten Dingen zu. Die Macht in den Händen weniger konzentriert sich, die Ohnmacht und Abhängigkeit der vielen wird epidemisch, die Kluft von Reich und Arm wird abgrundtief, während dessen ziehen Freude und Lebenszuversicht ab, eine einerseits aufgedrehte, andererseits beklommene, schwüle Stimmung macht sich breit, selbst die Medien der Zerstreuung, die Unterhaltungsindustrien, bringen mit ihrem Firlefanz nicht mehr den rechten Kick. Es ist, als hörte man das „game over” und ein „rien ne va plus”. Auf den Bühnen der Welt geht das Arbeitslicht an. Die Welt liegt da im Neonlicht. Und nach und nach ist den Menschen unheimlich zumute. Was ein erstes Hoffnungszeichen wäre. Allerdings: darüber schon jetzt zu reden, wäre verfrüht.

Also will ich anders schließen, und zwar so, daß ich Sie zuletzt an eine sonderbare, eigentlich kryptische, jedenfalls kaum je triftig entschlüsselte Stelle aus der zweiten, der späteren Bibel, dem Buch der Christen, erinnere.
Unmittelbar bevor der Nazarener mit seinen Jüngern nach Jerusalem aufbricht – wo ihn, wie bekannt, ein schreckliches Schicksal erwartet, und wo das erste sein wird, daß er die Wechsler und Händler aus dem Tempel jagt –, unmittelbar zuvor also erzählt er der kleinen Truppe eine sonderbare Geschichte.
Es ist die Geschichte von einem bösen König, der auszieht, um ein Nachbarvolk zu unterwerfen und die Menschen dort in Sklaverei zu verschleppen. Bevor er aber loszieht mit seinem Heer, beordert er drei seiner Verwalter zu sich, gibt einem jeden von ihnen ein Pfund – das war, umgerechnet, eine horrende Summe –, und sagt: Wuchert damit. Er zieht weg, er siegt, zuhause während dessen murren die Menschen gegen diesen Herrn, wollen nicht, daß er zurückkehrt. Doch er kehrt zurück, und zwar als Sieger und Eroberer, und nun befielt er wieder seine Verwalter vor seinen Thron. Sie wissen, wie’s weitergeht. Der erste kommt und hat das Vermögen verzehnfacht. Ein gewaltiger Gewinn! Bravo. Der zweite kommt, auch nicht schlecht, hat das überlassene Pfund verfünffacht. Klingt auch gut. Wieder bravo. Da kommt der dritte, ein Ängstlicher, ein Furchtsamer, und der gesteht: Herr, ich wußte, daß du ein harter Mann bist, und daß du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; darum fürchtete ich mich vor dir. Und so habe ich das Pfund, das du mir gelassen hast, treulich in ein Schweißtuch eingewickelt, und es eingegraben in ein Loch. Nun hab ich’s wieder vorgezogen. Da, Herr, nimm zurück, was Dein ist.
Sie wissen noch, wie`s ausgeht? Der König befiehlt, daß man dem Ängstling das Pfund wegnehme und jenem gebe, der am erfolgreichsten damit gewuchert hat. Investorenlogik avant la lettre ... Darauf hin gibt es – weil man das damals noch nicht so gewohnt war wie wir heute – kleinlauten Protest. Wieso, heißt es, der da hat doch schon? Und jener König – lest nach, Matt., Kap. 25:

    26 Ich sage euch: Wer da hat, dem wird gegeben werden, und
    er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch,
    was er hat, genommen werden.


Nachsatz: Den „unnützen Knecht”, wie es heißt, also jenen furchtsamen Verwalter und Nicht-Wucherer, läßt er in die Finsternis hinauswerfen, „wo Heulen und Zähneklappen ist”.
Kommt Ihnen der Grundsatz, wer hat, dem soll gegeben werden, von dem aber, der nicht hat, soll genommen werden, bekannt vor? Der Grundsatz, der Erfolg sei mit den Mächtigen, denen geben wir, die andern aber, die sind ein Risiko, die mögen sehen, wo sie bleiben – kennen Sie das? Sollte das, cum grano salis, ungefähr die ökonomische Logik sein?

Doch dann frage ich Sie jetzt zuletzt: Von wem hat denn der Nazarener da eigentlich dieses Gleichnis erzählt? Etwa von Gott, wie eine diesbezüglich hirnrissige Theologenschaft uns zwei Jahrtausende vorgeschwatzt hat?

Ihr Lieben, ihr Lieben, ich sage euch, er hat seine Jünger auf die Probe stellen wollen. Er wollte sehen, ob Sie verstanden hatten, ob sie den Grundsatz des anderen, des Widergottes und „Herrn der Welt” darin erkennen würden. Doch sie haben nicht verstanden. Bedauerlich. Nun, es waren Fischer, waren kleine Leute.

Aber Sie, hoffe ich, haben verstanden. Was erfreulich wäre. Sie sind ja auch keine Fischer, wie ich vermute.

Literaturhinweis:
Anregungen verdanke ich u. a. dem Buch von Denis de Rougemont, „Der Anteil des Teufels” und Leszek Kolakowski, „Gespräche mit dem Teufel”.


Einen Freitag-Vortrag zu demselben Thema gibt es als Audio-Mitschnitt auf CD.
 




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