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Eine Woche im idyllischen
Südtiroler Bergdorf St. Nikolaus im Ultental

„Philosophie – Urlaub – Literatur”

7. bis 14. Juli 2018

Villa Hartungen (Foto: Achenbach)
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Villa Hartungen (Foto: Achenbach)

Thomas Mann: Joseph und seine Brüder



mit Dr. Gerd B. Achenbach

Eine Veranstaltung in der „Villa Hartungen”.

Dieser umfangreichste, schlechthin grandiose Roman Thomas Manns ist nicht nur ein Werk, das dem Leser ein seltsam himmlisches Vergnügen bereitet, sondern das ebenso in jene letzten Abgründe und „Unauslotbarkeiten” hinablockt, von denen seit jeher die Philosophie sich angezogen fühlte – weshalb es zur philosophischen Lektüre wie kaum ein zweiter Roman einlädt ...
Ich will hier nur die rührende Geschichte wiedergeben, die Thomas Mann, kurz vor Abschluß der Tetralogie, in einer Rede, gehalten im November 1942 in Washington, selbst berichtete: Seine Bemühung, das Ferne und Vage des biblischen Kurzberichts in allen Einzelheiten auszuführen, „so daß man es mit Augen zu sehen und mit Händen zu greifen glaubt und endlich, nachdem man so lange ungefähre Vorstellungen davon gehegt, das Endgültig-Richtige darüber zu erfahren meint”, sei ihm jedenfalls von seiner Münchener Abschreiberin mit einem Kompliment bestätigt worden, das ihn sehr erheitert habe:
Als ihm jene Frau das Maschinen-Manuskript des ersten Romans, „Die Geschichten Jaakobs”, ablieferte, habe sie sich mit dem herzlichsten Nachdruck und mit den Worten bei dem Autor bedankt: „Nun weiß man doch, wie sich das alles in Wirklichkeit zugetragen hat!”
Und soviel ist wahr: Wer einmal diese „Amplifikation” der alten Genesis-Geschichten gelesen und dieses Ausfabulieren und „Ankristallisieren” genossen hat, der wird sich der Urväter-Legenden fortan nurmehr in jener humanistisch ausgeleuchteten, humoristisch-psychologisch aufgehellten Gestalt erinnern wollen, die ihnen Thomas Mann mit künstlerisch genialer Eigenmächtigkeit verliehen hat.
Übrigens ist das Werk hinreißend nicht zuletzt seiner theologisch-spekulativen Freiheit wegen. Ich zitiere hier eine (mir sehr liebe) Stelle aus dem Vortrag über „Joseph und seine Brüder” von 1942:
„Das Gefühl für den Weg, das Weiterschreiten, die Änderung, die Entwicklung ist sehr stark in diesem Buch, seine ganze Theologie ist mit dieser verbunden und daraus abgeleitet: nämlich aus seiner Auffassung des alttestamentarischen ›Bundes‹ zwischen Gott und Mensch, aus dem Gedanken also eines Angewiesenseins Gottes auf den Menschen, das sich mit dem des Menschen auf Gott zu gemeinsamem Höherstreben verschränkt. Denn auch Gott unterliegt der Entwicklung, auch er verändert sich und schreitet fort: aus dem Wüstenhaft-Dämonischen ins Geistige und Heilige; und er kann es sowenig ohne die Hilfe des Menschengeistes, wie dieser es vermag ohne Gott. Sollte ich bestimmen, was ich persönlich unter Religiosität verstehe, so würde ich sagen: sie ist Aufmerksamkeit und Gehorsam; Aufmerksamkeit auf innere Veränderungen der Welt, auf den Wechsel im Bilde der Wahrheit und des Rechten; Gehorsam, der nicht säumt, Leben und Wirklichkeit diesen Veränderungen, diesem Wechsel anzupassen und so dem Geiste gerecht zu werden. In Sünde leben heißt gegen den Geist leben, aus Unaufmerksamkeit und Ungehorsam am Veralteten, Rückständigen festhalten und fortfahren, darin zu leben. Und von der gerechten Furcht vor dieser Sünde und Narrheit ist jedesmal die Rede in dem Buch, wo von der ›Gottessorge‹ die Rede ist. Überall ist sie zu Hause in meinem Roman: auf den Weiden Kanaans und auf dem ägyptischen Königsthron. Sie ist nicht allein die Sorge um das ›Hervordenken‹, die Bestimmung und Erkenntnis Gottes, sondern namentlich die um seinen Willen, mit dem der unsere übereinstimmen muß; um das, was die Glocke geschlagen hat, die Forderung des Äons, der Weltstunde. Die ›Gottessorge‹ ist die Besorgnis, das, was einmal das Rechte war, es aber nicht mehr ist, noch immer für das Rechte zu halten und ihm anachronistischerweise nachzuleben; sie ist das fromme Feingefühl für das Verworfene, Veraltete, innerlich Überschrittene, das unmöglich, skandalös oder, in der Sprache Israels, ein ›Greuel‹ geworden ist. Sie ist das intelligente Lauschen auf das, was der Weltgeist will, auf die neue Wahrheit und Notwendigkeit, und ein besonderer, religiöser Begriff der Dummheit ergibt sich dabei: die Gottesdummheit, die diese Sorge nicht kennt oder ihr so täppisch Rechnung trägt wie das geschwisterliche Elternpaar Potiphars, das die Mannheit des Sohnes dem Lichte opfert. Ein Gottesdummkopf ist Laban, der noch glaubt, sein Söhnchen schlachten und im Fundament seines Hauses beisetzen zu sollen, was einmal ganz segensreich war, aber aufgehört hat, es zu sein. Das eigentliche und ursprüngliche Opfer war Menschenopfer. Wann kam der Augenblick, wo es zum Greuel und zur Dummheit wurde? Die Genesis hält ihn fest, diesen Augenblick, im Bilde des verwehrten Isaak-Opfers, der Substituierung des Tieres. Hier löst sich ein in Gott fortgeschrittener Mensch von überständigem Brauch, von dem, worüber Gott mit uns hinauswill und schon hinaus ist. Frömmigkeit ist eine Art Klugheit, sie ist Gottesklugheit.”
Wir werden sehen: Der Roman bietet nahezu unerschöpflichen Gesprächsstoff!
Beschäftigen werden uns freilich vorerst nur die beiden ersten Romane dieser gewaltigen Werkfolge: „Die Geschichten Jaakobs” und „Der junge Joseph”, die ‒ glückliches Zusammentreffen! ‒ eben jetzt druckfrisch in der vorzüglichen „Großen kommentierten Frankfurter Thomas Mann-Ausgabe” vorliegen.
Noch etwas zum inhaltlichen Programm der Woche:
Zwar rate ich allen Lesewilligen, zunächst einmal das ‒ manche entmutigende ‒ Vorspiel, „Höllenfahrt” betitelt, einfach beiseite zu lassen und sogleich mit der erfreulich-mitnehmenden Lektüre der eigentlichen Erzählung, also den „Geschichten Jaakobs” zu beginnen, doch da es gerade dieses Vorspiel „in sich” hat, werde ich es mir nicht nehmen lassen, ganz besonders diese literarisch-geschichtsspekulative und philosophisch-theologische Abhandlung gründlich, gewissermaßen Schritt für Schritt auszulegen. Dann wird jeder sehen: Dieses reizvoll virtuose Stück wurde vom Autor mit genauestem Recht seinem anspruchsvollen Roman vorausgeschickt.
Im übrigen werden wir uns ganz im Sinne des „Genius der Epik” ‒ der „keine Eile”, sondern „unendlich Zeit hat” und „der Geist der Geduld” ist, „der Treue, des Ausharrens, der Langsamkeit, die durch Liebe genußreich wird”‒ auf dieses epochale Werk einlassen: auf seine Querbezüglichkeiten, die Thomas Mann zwischen den archaischen Geschichten und dem späteren, so ganz anders gestimmten Testament der Christen herstellt, auf diese beispiellose religions-komische, höhere Heiterkeit, mit der die ernstesten Fragen „humanisiert” und aus ihrer dogmatischen Starre erlöst werden, und auf die Fülle religionsphilosophischer Weisheit und Übersicht, die Thomas Mann in sein Werk „hinein gezaubert” hat.

Samstag, der 7. Juli, ist Anreisetag, die Akademie beginnt dann abends mit dem gemeinsamen Abendessen, und Samstag, der 14. Juli, ist wiederum Abreisetag. Die Veranstaltung endet nach dem Frühstück.

Wer allerdings noch einige Tage in der Villa gemeinsam mit uns Urlaub machen und etwas unternehmen möchte, ist herzlich dazu eingeladen. Denn wir - d.h. die Familie - sind die gesamte anschließende Woche auch weiterhin in der Villa. Sogar darüber hinaus läßt sich der Aufenthalt eventuell noch verlängern ...

Im neuesten SPIEGEL (Nr.25 vom 16.06.2018, S. 112-117) ist eine umfangreiche und durchaus lesenswerte Besprechung der jüngst in der "Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe" herausgekommenen Josephsromane erschienen, die Volker Weidermann verfaßt hat.
Titel:
      Die Erfindung Gottes
      Die Josephsromane sind Thomas Manns unterschätztes Meisterwerk


Dankenswerterweise hat die Redaktion diesen Artikel auch auf SPIEGEL-online frei zugänglich gemacht - zu finden hier .

Thomas Mann 1937 Quelle: WikipediaThomas Mann 1937 Quelle: Wikipedia

Noch etwas zum Drum und Dran ...:

In den Mittagspausen gibt es die Gelegenheit, kleine Ausflüge durch die herrliche Landschaft zu verschiedenen, nahegelegenen Jausenstationen zu unternehmen, etwa zu den zweitausend Jahre alten „Urlärchen” oder hinauf nach St. Moritz , wo sich uns von der prächtigen Terrasse aus ein weiter Blick ins Ultental  bis hinüber ins Etschtal auftut.

Und natürlich gibt es wieder einen Halbtagesausflug in die landschaftlich reizvolle Bergwelt (für die, die mögen).

Mit andern Worten: Es soll nicht nur „gearbeitet” werden, sondern wir wollen die Tage auch unbeschwert genießen und „urlauben” zusagen ...

Wie in der Regel die Tage „ablaufen”, dazu siehe das Nähere hier.

Alles weitere (Kosten, wo man übernachten kann, Beginn und Ende, Anfahrt und Abfahrt etc. siehe hier.

Etwas zur „Villa Hartungen” , in der wir tagen:

Sie ist der Sommersitz des Arztes Dr. Christoph Hartung von Hartungen (1849-1917), der die Jugendstil-Villa als reinen Holzbau 1903 am Sonnenhang des Tales mit weitem Blick auf die hohen Berge der Ortler-Gruppe bauen ließ. 1905 war Richtfest, 1906 war das prächtige Bauwerk bezugsfertig. Nicht nur Thomas Mann – gemeinsam mit seinem Bruder Heinrich – war fünf Wochen lang als Patient und Gast des Dr. Hartungen im Ultental, sondern ebenso Sigmund Freud, Christian Morgenstern, Franz Kafka, Pfarrer Kneipp, Rudolf Steiner, Peter Rosegger u. a. waren Gäste des Arztes.

Einen interessanten Artikel („Wo Bismarck baden ging”) zu diesem außerordentlichen, damals sehr berühmten Arzt finden Sie in der ZEIT von 1997 hier .

Und zu dem Arzt, zu Christoph Hartung von Hartungen, der das Haus erbauen ließ, in dem wir wohnen, gibt es inzwischen einen sehr instruktiven Wikipedia-Artikel, siehe hier .

Heinrich Mann hat ihm in der Gestalt des Dr. Männigen ein Denkmal gesetzt, siehe hier .
 




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1981 in Gießen bei Odo Marquard zum Thema „›Selbstverwirklichung‹ oder ›Die Lust und die Notwendigkeit‹. Amplifikation eines Hegelschen Kapitels aus der ›Phänomenologie des Geistes‹” abgelegt, ist ab jetzt hier im pdf-Format  nachzulesen.

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