„Dieses mußte mir also zur eigenen Tröstung gereichen,
welche nicht aus Belehrung und Gründen hervorging ...”
Goethe in einem Brief aus Dornburg nach dem Tod des Freundes Carl August
Herbst-Akademie 2012:
Goethe nach dem Tod seines Freundes Carl August (1828) in Briefen und Gedichten aus Dornburg an der Saale
sowie
Leo Tolstoi, „Der Tod des Iwan Iljitsch”
und
Thomas Manns großer Essay „Goethe und Tolstoi”
Das Thema:
Über Tod und (Un-)Sterblichkeit
Mit Ausflügen zu den Dornburger Schlössern,
einem Bummel durch Naumburg (mit Nietzschehaus und Dom) und
hinüber zum benachbarten Max-Klinger-Haus.
Unser Quartier und Seminar-Haus:
„Haus Sonneck” im Blütengrund bei Naumburg,
oben in den Weinbergen gelegen, wo unten Saale und Unstrut zusammenfließen.
Vom „Volkstrauertag” bis „Buß- und Bettag”
Das ist: von Sonntag, 18., bis Mittwoch, 21. November 2012
Einige Bildeindrücke der Veranstaltung, die Hans-Christian Schwartz für uns aufgenommen hat:
Führte uns unsere erste „Herbst-Akademie” auf Goethes Spuren nach Wetzlar und Weimar (2009), folgte die zweite (2010) Fontane nach Neuruppin und an den „Stechliner See”, kehrten wir zur dritten (2011) in „Haus Sonneck” bei Naumburg ein, von wo aus ‒ „Unterwegs in philosophischer Exkursion auf den Spuren der frühen Romantiker” ‒ Ausflüge nach Jena und Weißenfels unternommmen wurden und wir in Naumburg die Ausstellung „Der Naumburger Meister” besuchten (Eindrücke, auch Bilder davon siehe hier! [1]),
so waren wir 2012 wieder im „Haus Sonneck” zu Gast, das inzwischen über ein neues Seminarhaus mit modernen Zimmern verfügt. Und der Ausflug ging diesmal zu den Dornburger Schlössern (28 km oder eine halbe Autostunde entfernt gelegen), wohin Goethe, dazu eingeladen von der Großherzoglichen Familie, nach dem Tod seines Freundes Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, „auswich”.
Dort war er nun zwar wieder einmal der Nötigung entkommen, an Trauer- und Totenfeiern teilzunehmen oder gar feierlich einem Sarg nachzuschreiten, um danach an offener Grube zu stehen, zugleich aber ließ den seinerseits Neunundsiebzigjährigen ‒ Carl August war immerhin gut acht Jahre jünger, als er verstarb ... ‒ das Ereignis dieses Todes nicht zur Ruhe kommen, wovon einige der bedeutendsten Briefe zeugen, die Goethe eben in jenem Renaissance-Schloß zu Dornburg, seinem zwischenzeitlichen Asyl, an Freunde und Hinterbliebene des Verstorbenen schrieb.
Goethe, ostentativer Hymniker des Lebens, hatte zweifellos ein höchst empfindliches Verhältnis zum Tod, doch eben diese Scheu und seine lebenslange Furcht, dem Tod, es sei in welcher Gestalt auch immer, nahezukommen, rückt ihn uns näher, die wir in aller Regel der Tröstungen und Verheißungen, wie sie das offizielle Christentum für die Seinen bereit hielt, nicht mehr so ganz sicher sind. Für viele jedenfalls gilt, daß ihnen die Zweifel, die seit der Aufklärung und deren Entschlossenheit, der religiösen Verheißungen zu entsagen, den Ton angeben, die Gewißheit zernagen, die einst den Gläubigen zu singen erlaubte: „Tod, wo ist dein Stachel?”
(U.a. werden uns beschäftigen der Brief 44/160 An Carl Friedrich Zelter, Dornburg den 10. Juli 1828, und der Brief 44/175 An Friedrich August von Beulwitz [Concept.] vom 18. Juli 1828 , siehe hier [2].
In jenem Sommer, den Goethe auf der Dornburger Höhe verbringt, wird im fernen Rußland, auf dem Gut Jasnaja Poljana, unweit Tula, Lew Nikolajewitsch Tolstoi geboren ‒ also Leo Tolstoi, wie wir ihn gewöhnlich eingedeutscht nennen. Im November vorvergangenen Jahres, 2010, wurde vielfach seines 100. Todestages gedacht.
Tolstoi nun hat mit seiner Erzählung „Der Tod des Iwan Iljitsch”, entschieden anders als Goethe, nicht weggesehen, sondern dem Tod mit beispielhafter Tapferkeit ins Auge geschaut.
Was er dabei zu sehen bekommt, mag an jenes Diktum Rainer Maria Rilkes erinnern, das Peter Sloterdijk kürzlich in den Titel eines Buches aufnahm: „Du mußt dein Leben ändern”. Tatsächlich wird hier, da der Tod, der schreckliche Gast, hereintritt, die fürchterliche Frage akut: Hast du richtig, hast du wahrhaft gut gelebt? Oder hast du dein Leben in Bequemlichkeit vertan, daß es hinging und verging, ohne Bewußtsein, ohne Dankbarkeit, ohne das Glück, zu leben?
Diese Erzählung ‒ eine der großartigsten und erschütterndsten der Weltliteratur ‒ habe ich in zwei Folgen abends gelesen.
Die Dornburger Schlösser wurden eigens für unsere Gruppe geöffnet.
Goethe brieflich über den Aufenthalt in Dornburg:
„Die Aussicht ist herrlich und fröhlich, die Blumen blühen in den wohlunterhaltenen Gärten, die Traubengeländer sind reichlich behangen, und unter meinem Fenster seh’ ich einen wohlgediehenen Weinberg, den der Verblichene auf dem ödesten Abhang noch vor drey Jahren anlegen ließ und an dessen Ergrünung er sich die letzten Pfingsttage noch zu erfreuen die Lust hatte. Von den andern Seiten sind die Rosenlauben bis zum Feenhaften geschmückt und die Malven und was nicht alles blühend und bunt, und mir erscheint das alles in erhöhteren Farben wie der Regenbogen auf schwarz-grauem Grunde.”
Aber noch mehr:
Ich habe einiges aus Thomas Manns hoch ambitioniertem, schließlich aus jahrelanger Arbeit hervorgegangenen, in der maßgeblichen Großen Frankfurter Ausgabe 127 Seiten umfassenden Essay „Goethe und Tolstoi. Fragmente zum Problem der Humanität” mitgeteilt und zur Verbindung und Unterscheidung der zwei Übergroßen der Literatur zu denken gegeben. (Der Essay von 1925 ist nicht zu verwechseln mit der Vortragsversion „Goethe und Tolstoi” von 1921!)
Ein umfangreiches Programm mithin ...
Literaturhinweise (mit Verlinkung), Links zum Haus Sonneck, zum Nietzsche-Haus, zu Schulpforta, zum Dom und zur "Uta", zu den Dornburger Schlössern sowie zum Max-Klinger-Haus sowie alles weitere (Kosten, Anmeldung usw.) finden Sie hier [3].
[2] http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Briefe/1828
[3] https://www.achenbach-pp.de/detail/semherbstakademie2012.asp