Aus dem Historischen Wörterbuch der Philosophie [1], Bd. 7, Basel 1989, Sp. 1307 f:
Praxis, Philosophische.
Den Begriff ‹Ph.P.› hat G. B. ACHENBACH 1981 [1] bei der Gründung seines ‹Instituts für Ph.P.› geprägt: unter Ph.P. versteht er die professionell betriebene «philosophische Lebensberatung» [2], die «in der Praxis» [3] eines Philosophen geschieht. «In der Ph.P. werden wir nicht als Lehrer der Philosophie gefordert, sondern als Philosophen» [4]. «Die konkrete Gestalt der Philosophie ist der Philosoph: und er, der Philosoph als Institution in einem Fall, ist die Ph.P.» [5]. Dabei ist «die Ph.P. ... ein freies Gespräch. ... Sie ... verordnet keine Philosopheme ..., verabreicht keine philosophische Einsicht, sondern sie setzt das Denken in Bewegung: philosophiert» [6] zusammen mit dem Ratsuchenden – den sie nicht als «Fall» unter vorgegebene Problem- und Lösungsschemata subsumiert, sondern auf den als Individuum sie eingeht – und kann so helfen, indem sie seine Orientierungsblockaden lockert und aufhebt: die «Ph.P. weiß nicht Bescheid, manchmal aber weiter» [7].
Ein Komplement dieser philosophischen Lebensberatung ist die von P. HEINTEL und G. SCHWARZ etablierte «philosophische Organisationsberatung» [8]: Wenn Unternehmen «Philosophien» haben, sind es Philosophen, die ihnen bei Grundsatzschwierig-keiten helfen können. Die Ph.P. – inzwischen u.a. durch G. ACHENBACH, TH. MACHO, E. MARTENS, K. DÖRNER, R. DRIEVER theoretisch und praktisch weiterentwickelt [9] und seit 1982 in einer ‹Gesellschaft für Ph.P.› organisiert – ist zu einem sich ausbreitenden lebendigen Trend der philosophischen Gegenwartsszene geworden. Im Grunde nimmt sie eine alte Tradition der Philosophie wieder auf, die in der antiken Sophistik, Sokratik und in den nachklassischen Schulen dort praktiziert wurde, wo die Philosophie – zumindest auch – «Lebenskunst» lehren wollte: Hier hat auf die Ph. P. H. KRÄMERS «Theorie des richtigen Lebens» Einfluß gewonnen, «die zur allseitigen Selbstrealisierung anleitet und dabei die Begriffe des Ratschlags, der Empfehlung, der Klugheitsregel ... als vollwertige ethische Grundbegriffe rehabilitiert» [10]; umgekehrt hat sich Krämer seinerseits für die Ph.P. engagiert [11]. Gegenwärtig wird diese lebensberatende Aufgabe der Philosophie – an die die moralistischen Traditionen erinnert hatten – wieder aktuell, und zwar in plausibler Situation: Wo die offene Praktischmachung der Philosophie durch Revolutionsphilosophien und die maskierte durch die Psychoanalyse in die Krise gerät [12], wird diese neue Form der praktischen Orientierung der Philosophie, die Ph.P., fällig. Dabei ist die «Ph.P. angetreten, indem sie sich von drei Organisationsformen der Philosophie ... unterschied: von der Universitätsphilosophie ebenso wie von der Philosophie im Gewande des Priesters oder des Therapeuten» [13]. Zugleich ist «die philosophische Beratungspraxis ... durch die mittlerweile etablierten Einzelwissenschaften vom Menschen nicht überflüssig geworden, sondern vermag zu ihnen in ein produktives Kooperationsverhältnis zu treten» [14]: Darum ist sie zu einer wichtigen – diskutierten, umstrittenen, fruchtbaren – Gegenwartsgestalt der Philosophie geworden, zu der die traditionelle Philosophie sich ihrerseits wird verhalten müssen.
Anmerkungen.
[1] Vgl. G. B. ACHENBACH (Hg.): Ph.P. (1984) 191; ACHENBACH: Einige Probleme der Ph.P. Z. Didaktik Philos. 3 (1982) 176ff.; Die reine und die prakt. Philos. Drei Vorträge zur Ph.P. (1983).
[2] Philos. Lebensberatung. Kritik der auxiliaren Vernunft, in: ACHENBACH (Hg.), a.O. 51ff.
[3] J. BUSCHE: In der Praxis. Frankf. Allg. Ztg. 226 (30. 9. 1987) 35.
[4] ACHENBACH (Hg.), a.O. [1] 65.
[5] a.O. 14.
[6] 32.
[7] 33.
[8] Vgl. P. HEINTEL (Hg.): Das ist Gruppendynamik. Eine Einf. in die Bedeutung, Funktion und Anwendbarkeit (1974); P. HEINTEL/TH. H. MACHO: Der soziale Körper. Kynismus und Organisation, in: Peter Sloterdijks ‹Kritik der zynischen Vernunft› (1987) 290ff.
[9] Vgl. P. KOSLOWSKI (Hg.): Ph.P., Psychologie und Medizin (1988).
[10] H. KRÄMER: Prolegomena zu einer Kategorienlehre des richtigen Lebens. Philos. Jb. 83 (1976) 73.
[11] Vgl. Was ist Ph.P. Agora. Z. Ph.P. 1 (1987) 5.
[12] Vgl. G. B. ACHENBACH/TH. H. MACHO: Das Prinzip Heilung. Medizin, Psychoanalyse, Ph.P. (1985).
[13] TH. H. MACHO: Gedankenorganisation, in: ACHENBACH (Hg.), a.O. [1] 174.
[14] KRÄMER, a.O. [11] 5.
Literaturhinweis. G. B. ACHENBACH (Hg.): Schr.reihe zur Ph.P. (1983ff.).
O. MARQUARD
[aus: Historisches Wörterbuch der Philosophie [2], Bd. 7, Basel 1989, Sp. 1307 f. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Schwabe AG, Basel.]
Link-Referenzen:
[1] http://www.hwph.ch/index_schwabe.html[2] http://www.hwph.ch/index_schwabe.html