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Philosophisch betrachtet ...

Gerd B. Achenbach

Verantwortung - entsorgt




Verantwortung, o ja, das ist das noble, edelschöne Reich der großen Gesten. Hohe Herren „übernehmen” die Verantwortung für irgendwas, was schiefgegangen ist: in den Fluren ministerialer Politik, in der Behörde, im Konzern. Das ist heroisch, denn man „übernimmt” ja nur, was man eigentlich nicht „hat”. Also fehlt nicht viel, und auf solche Heldentapferkeit fiele obendrein das hehre Licht des Opferlammes: „... der du trägst die Sünd’ der Welt”. Wer Verantwortung „auf sich nimmt”, ist Stellvertreter, sagt: „Nehmt mich! Aber laßt von meinen Schafen, die trifft keine Schuld.” Das ist vornehm und bleibt reserviert für außerordentliche Fälle.

Davon abgesehen „tragen” jene hohen Herren an der schweren Last, die als Verantwortung auf ihnen „ruht”. Das bedrückt nicht, das erhebt; denn viel Gewicht macht wichtig.

Soviel zur Prachtfassade. Und nun ein Blick dahinter, in die Hinterhöfe.

Da wird mancher andere von anderen „verantwortlich gemacht”, zur Verantwortung, das heißt „zur Rechenschaft gezogen”. Was unerfreulich ist. Außerdem entbehrt der Vorgang der Noblesse gesellschaftlicher Distinktion. Das riecht nach „haftbar machen”, und hat man „einen Schuldigen” gefunden, wird der „in Haft genommen”. Das ist alles andere als vornehm. Die Juristen sind am Werk: Wer verantwortet, haftet.

Da wird auch das Haupt nicht hoch getragen, da geht es darum, wie man seinen Kopf glimpflich aus der Schlinge zieht. Also wird nach Ausreden gesucht, nach Erklärungen gegriffen, werden Entschuldigungen vorgebracht: moderne Varianten des veralteten Befehlsnotstandes. „Wieso ich?” „Wer war denn zuständig?” „Der Wettbewerb”, „der Markt”, „die Umstände” erforderten, ließen keine Wahl, erzwangen, waren unerbittlich, unbarmherzig. Wer da nicht mitmacht, ist verloren. Und dann: Die „oben” haben alles ausgebrütet, der Kunde hat es so gewollt, der Auftraggeber hatte diese oder jene Vorstellung. Also die, nicht wir. Wir tun nur, was man von uns erwartet.

Sieh an: Was ehedem Befehl hieß, heißt heute „Markt”, „die Auftragslage”, „Sachverhalt”, „Zwang der Verhältnisse”, und jeder muß selbst sehen, wo er bleibt. Statt Gehorsam aber wird jetzt Reaktionsvermögen abverlangt, die Bereitschaft, flexibel sich der Lage anzupassen, Chancen zu ergreifen, die Gelegenheit zu nutzen - und alles möglichst schnell, besinnungsfrei, funktionsgerecht.

„Verantwortet” da noch irgendeiner irgendwas? Ach was - Verantwortung wird fachgerecht entsorgt: Wir setzen Kommissionen ein, wir lassen Ethik-Runden tagen, wir engagieren kompetente Leute, die diskutieren sollen. Und was da nicht weggeschafft wird, versickert im System - im Gang der Dinge, Trends genannt - in den Parolen, die als Theorien ausgegeben werden - in den Denk-, Gefühls-, Empfindungs-, „Life-style”-Moden - in der Welt, so wie sie nun mal ist. Brave new world!


Diese Glosse ist in Heft 5 (Oktober 2007) von "Promotion Business" erschienen.
 




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