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„Philosophisch betrachtet”


Gerd B. Achenbach

Gier ...?




Über Nacht also lag eine Welt in Trümmern. Die Finanztürme wankten und stürzten in sich selbst zusammen – doch diesmal nicht, weil sie von außen angegriffen worden wären. Kein Terrorist hatte seine Hand im Spiel.
Wohl aber dürften wir die flinken Typen, die Akteure, die mit Elan und heilsgewisser Überzeugungskraft am Werk gewesen sind, die Schwarzkünstler des Reibachs und Ruins, Fanatiker des Glaubens nennen. Ihr Credo war kein müde abgeleistetes Bekenntnis, das bloß die Lippen hergebetet hätten. Nein, ihr Glaube an den Markt und seine Segnungen war echt. Die haben in der Tat gemeint, ihr Dienst am Herrn der „unsichtbaren Hand” mache sich bezahlt für alle, die sich ihm verschrieben und allein auf ihn vertrauen – auf den Herrn der Börsen, Banken, des Big Business, den niemand je gesehen hat, dessen Allgegenwart und Allmacht gleichwohl mit unergründlicher, für uns kleine Menschen unfaßbarer Weisheit die Geschicke lenkt, der dort, wenn’s not tut, „schöpferisch zerstört”, um hier zugleich den cleveren, den raffinierten, den ausgebufften Marktteilnehmern die Wege zu bereiten und das Füllhorn sagenhaften Reichtums über ihnen auszugießen. So glaubten sie.
Und nun ist grauer Morgen und es gibt ein ungläubiges, noch unwilliges Erwachen. Der Rauch verzieht sich, der aus der Stätte der Verwüstung aufstieg, und der Umriß von „ground zero” wird erkennbar. Ein spannender Moment. Denn erst die Ruinen offenbaren, was die glänzenden Fassaden dem Blick entzogen hatten: den nackten Grund und Boden nämlich, das Fundament, auf dem die schwindeligen Konstruktionen in den trügerischen Himmel der Finanzen emporgeschossen waren. – Und? Was ist es nun, was den Wahnsinnsunternehmungen zugrunde lag und den Irrsinn zur Methode machte? Was verkünden uns die Buß- und Fastenprediger, die jetzt am Zuge sind?
Es sei die pure, ungezügelte, die nackte, blinde Gier gewesen. Rücksichtlose Habsucht, Raffgier, Machtgier, Geldgier, ein Taumel und Rausch, erfaßt vom Wirbel der Gewinnspirale. Die Parole „mehr und immer mehr” habe die Verantwortlichen um Verstand und Übersicht gebracht, habe Nüchternheit und Anstand alt aussehen lassen. Und was trat an die Stelle? „Phantasie an die Macht! Freie Fahrt den Phantasten!”
Eine schöne, einfache Erklärung. Allzu einfach. Darum überzeugt sie nicht.
Waren Menschen nicht schon immer gierig, haben sie nicht immer schon gerafft und mehr gewollt, süchtig nach Gewinn und Reichtum? Doch hat das alte Laster je ein Unheil angerichtet, wie wir unterm Strich in diesem Fall zusammenrechnen?
Also doch – „das System”? Die „Logik”, nach der das Karussell sich dreht? Die „Konstruktion”, die Ökonomisches allein und einzig „ökonomisch” denken wollte – ohne Ausgleich, ohne Widerlager, ohne Stütze im Ethischen, im Anstand, im Seriösen, Noblen, in Besonnenheit, Bescheidenheit, Gelassenheit? Könnte es wohl sein, daß wir dem Größenwahn anheimgefallen waren? Dann wäre, was geschah – der Sturz –, die angemessene Belehrung, Korrektur, die Kur, die fällig wurde.


Der Text erschien in "Marketeers Pioneers 003"
 




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