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Texte und Tonträger [Philosophische Praxis Gerd B. Achenbach] || nach oben springen || Startseite Achenbach-PP.de
Dr. Gerd B. Achenbach: Ecce Homo! oder: Seht, der Mensch!
Freitag-Vortrag vom 7. April 2023
CD Nr. 628
CD Nr. 628
Philosophie der Lebenshaltungen V: Der Sinn fürs Übersehene
Der Bezug des berühmten Pilatus-Wortes zum Karfreitag muß zeitgenössischen Weggefährten mit biblischen Restkenntnissen nicht erläutert werden. Wohl aber die Aufnahme dieser geschichtsträchtigen Sentenz in die Reihe der grundlegenden Lebenshaltungen. Also erinnere ich kurz daran, was ich damit im Schilde führe ‒ und im Blick auf die Dankbarkeit, Zuversicht, Friedfertigkeit und den Humor bereits versucht habe: Entfaltet wird ein Gedankenpanorama der grundsätzlichen Einstellungen zur Welt überhaupt und zum Menschen „an sich”. Wie leicht erkennbar: ein unbescheidenes Programm.
Und nun „Ecce homo” ‒ der klassische, gleichwohl rätselhafte Kommentar des römischen Präfekten der vorderasiatischen Provinz Judäa?
Ja. Doch ich werde die Szene, uns allen wohl noch vertraut, für diesmal in ein anderes und sicherlich wenig vertrautes Licht rücken, indem ich mit Erich Auerbach ‒ dem 1936 ins Istanbuler Exil ausgewichenen Juden ‒ die Szenerie neu ausleuchte. In seinem Maßstäbe setzenden Werk „Mimesis” macht er darauf aufmerksam, wie die Evangelien die hochdramatischen Verhöre, denen der Herr zunächst vor der jüdischen Religionsbehörde und dann durch den Statthalter Pilatus ausgesetzt ist, durch die unscheinbare Geschichte der Verleugnung des Petrus unterbrechen ‒ eine nach damals gültiger Auffassung läppische Nebenhandlung, in der so belanglose Personen auftreten wie eine Magd, einige Knechte des Hohenpriesters, „ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte”, und in der Vorkommnisse berichtet werden, die bis dato keinerlei Erwähnung wert gewesen wären. Doch jetzt heißt es, während Jesus drinnen, im hohen Saal höchstrichterlich verhört wurde, zündeten jene Hausdiener und Mägde „ein Feuer an mitten im Hof und setzten sich zusammen, und Petrus setzte sich mitten unter sie”. Und vier Evangelien berichten solche Umstände mit liebevoll umfänglicher Ausführlichkeit! Gehört denn „sowas” in eine hochbedeutsame, historische Chronik, die als Heilsbotschaft überliefert ist?
Oder wird hier womöglich jenes sonderbar auszeichnende Wort, das „Ecce homo!” ‒ dessen sich noch Herr von Goethe rühmte, weil es Napoleon verstand, ihm damit zu schmeicheln ... ‒ von und mit dem Neuen Testament zugleich auch auf den Fischer Petrus bezogen, so daß der Schluß der Verleugnungsszene ‒ „Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich” ‒ unmittelbar neben dem Halsgerichtsurteil Jesu seinen Platz findet?
Und dies geht so weiter bis zuletzt, wenn wenig später dem einen der beiden „Übeltäter”, die neben jenem ironisierten „König der Juden” am Marterpfahl hingen, nach dem Zeugnis der Schrift als erstem unter den Menschen der Einzug ins Himmelreich zugesagt wurde ‒ einem verurteilten Verbrecher!
Wird da eingefädelt, was schließlich Goethe nochmals überbot und so befestigte, wenn er am Schluß des „Faust” sein Gretchen, die Kinds- und Muttermörderin, als Una Poenitentium und himmlische Büsserin neben der anderen bibeleinschlägigen Sünderin, jetzt als Magna Peccatrix, und neben jener Frau, die mit einem fünften Mann in illegitimem Verhältnis lebte und mit der als Samariterin die Juden keinen Umgang hatten, jetzt Mulier Samaritana geheißen, selbdritt der Mater Gloriosa zur Seite den „früh Geliebten” an der Himmelspforte feierlich empfängt, begleitet vom Chorgesang „Seliger Knaben”, „jüngerer” und „vollendeterer Engel”, der „Büsserinnen” und des „Chorus Mysticus”?
Doch zurück zu Erich Auerbachs großartigem Buch. Vor Jahren habe ich nach der Lektüre vorn, auf das erste weiße Blatt, handschriftlich ein Wort Hegels notiert, das sich als Motto dem Werk voranstellen ließe:
... auf daß auch in der Kunst das Wort erfüllt sei,
die da niedrig sind, sollen erhöht werden.
Eben das ist mit jener Lebenshaltung gemeint, die sich im Blick auf das Geschehen in Jerusalem vor bald 2000 Jahren zu entwickeln begann und doch noch immer nicht vollends zum Durchbruch kam: als Sinn fürs Übersehene nämlich, fürs Unscheinbare und Nebensächliche ‒ auf Personen und Menschen bezogen: für solche, die auch heute noch ganz beiläufig unter die Räder kommen, die Namenlosen.
Bei Brecht, ohne „katholischen Opernhimmel” zum Schluß, heißt es am Ende seiner Drei-Groschen-Bettler-Oper im resignativen, dafür aber revolutionstrotzigen Tonfall:
Denn die einen sind im Dunkeln,
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte,
Die im Dunkeln sieht man nicht.
Bert Brecht hat sie gesehen, und so darf man sagen: Karfreitag hat auch bei diesem Unfrommen gezündet.
Der Bezug des berühmten Pilatus-Wortes zum Karfreitag muß zeitgenössischen Weggefährten mit biblischen Restkenntnissen nicht erläutert werden. Wohl aber die Aufnahme dieser geschichtsträchtigen Sentenz in die Reihe der grundlegenden Lebenshaltungen. Also erinnere ich kurz daran, was ich damit im Schilde führe ‒ und im Blick auf die Dankbarkeit, Zuversicht, Friedfertigkeit und den Humor bereits versucht habe: Entfaltet wird ein Gedankenpanorama der grundsätzlichen Einstellungen zur Welt überhaupt und zum Menschen „an sich”. Wie leicht erkennbar: ein unbescheidenes Programm.
Und nun „Ecce homo” ‒ der klassische, gleichwohl rätselhafte Kommentar des römischen Präfekten der vorderasiatischen Provinz Judäa?
Ja. Doch ich werde die Szene, uns allen wohl noch vertraut, für diesmal in ein anderes und sicherlich wenig vertrautes Licht rücken, indem ich mit Erich Auerbach ‒ dem 1936 ins Istanbuler Exil ausgewichenen Juden ‒ die Szenerie neu ausleuchte. In seinem Maßstäbe setzenden Werk „Mimesis” macht er darauf aufmerksam, wie die Evangelien die hochdramatischen Verhöre, denen der Herr zunächst vor der jüdischen Religionsbehörde und dann durch den Statthalter Pilatus ausgesetzt ist, durch die unscheinbare Geschichte der Verleugnung des Petrus unterbrechen ‒ eine nach damals gültiger Auffassung läppische Nebenhandlung, in der so belanglose Personen auftreten wie eine Magd, einige Knechte des Hohenpriesters, „ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte”, und in der Vorkommnisse berichtet werden, die bis dato keinerlei Erwähnung wert gewesen wären. Doch jetzt heißt es, während Jesus drinnen, im hohen Saal höchstrichterlich verhört wurde, zündeten jene Hausdiener und Mägde „ein Feuer an mitten im Hof und setzten sich zusammen, und Petrus setzte sich mitten unter sie”. Und vier Evangelien berichten solche Umstände mit liebevoll umfänglicher Ausführlichkeit! Gehört denn „sowas” in eine hochbedeutsame, historische Chronik, die als Heilsbotschaft überliefert ist?
Oder wird hier womöglich jenes sonderbar auszeichnende Wort, das „Ecce homo!” ‒ dessen sich noch Herr von Goethe rühmte, weil es Napoleon verstand, ihm damit zu schmeicheln ... ‒ von und mit dem Neuen Testament zugleich auch auf den Fischer Petrus bezogen, so daß der Schluß der Verleugnungsszene ‒ „Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich” ‒ unmittelbar neben dem Halsgerichtsurteil Jesu seinen Platz findet?
Und dies geht so weiter bis zuletzt, wenn wenig später dem einen der beiden „Übeltäter”, die neben jenem ironisierten „König der Juden” am Marterpfahl hingen, nach dem Zeugnis der Schrift als erstem unter den Menschen der Einzug ins Himmelreich zugesagt wurde ‒ einem verurteilten Verbrecher!
Wird da eingefädelt, was schließlich Goethe nochmals überbot und so befestigte, wenn er am Schluß des „Faust” sein Gretchen, die Kinds- und Muttermörderin, als Una Poenitentium und himmlische Büsserin neben der anderen bibeleinschlägigen Sünderin, jetzt als Magna Peccatrix, und neben jener Frau, die mit einem fünften Mann in illegitimem Verhältnis lebte und mit der als Samariterin die Juden keinen Umgang hatten, jetzt Mulier Samaritana geheißen, selbdritt der Mater Gloriosa zur Seite den „früh Geliebten” an der Himmelspforte feierlich empfängt, begleitet vom Chorgesang „Seliger Knaben”, „jüngerer” und „vollendeterer Engel”, der „Büsserinnen” und des „Chorus Mysticus”?
Doch zurück zu Erich Auerbachs großartigem Buch. Vor Jahren habe ich nach der Lektüre vorn, auf das erste weiße Blatt, handschriftlich ein Wort Hegels notiert, das sich als Motto dem Werk voranstellen ließe:
... auf daß auch in der Kunst das Wort erfüllt sei,
die da niedrig sind, sollen erhöht werden.
Eben das ist mit jener Lebenshaltung gemeint, die sich im Blick auf das Geschehen in Jerusalem vor bald 2000 Jahren zu entwickeln begann und doch noch immer nicht vollends zum Durchbruch kam: als Sinn fürs Übersehene nämlich, fürs Unscheinbare und Nebensächliche ‒ auf Personen und Menschen bezogen: für solche, die auch heute noch ganz beiläufig unter die Räder kommen, die Namenlosen.
Bei Brecht, ohne „katholischen Opernhimmel” zum Schluß, heißt es am Ende seiner Drei-Groschen-Bettler-Oper im resignativen, dafür aber revolutionstrotzigen Tonfall:
Denn die einen sind im Dunkeln,
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte,
Die im Dunkeln sieht man nicht.
Bert Brecht hat sie gesehen, und so darf man sagen: Karfreitag hat auch bei diesem Unfrommen gezündet.
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