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Texte und Tonträger [Philosophische Praxis Gerd B. Achenbach] || nach oben springen || Startseite Achenbach-PP.de
Gerd B. Achenbach: "Irrungen, Wirrungen? der Fontane-Roman in philosophischer Lesart
Freitag-Vortrag vom 27. September 2019
CD Nr. 578
CD Nr. 578
<big>Wir haben eine „Kritik der reinen Vernunft”, eine „Kritik der praktischen Vernunft”, wir haben den Plan zur „Kritik der historischen Vernunft” (Dilthey) und von Sloterdijk die „Kritik der zynischen Vernunft” ‒ was uns fehlt, wessen wir aber dringend bedürfen, ist eine „Kritik des Menschen”: <i>eine Anleitung, Menschen zu unterscheiden.</i>
Damit ist ‒ skandalös genug ‒ gemeint: Uns wäre eine profunde Urteilsbefähigung nötig, die berechtigen würde, <i>diesem </i>Menschen unsere höchste Achtung und Wertschätzung zuzuerkennen, ihn mit guten Gründen als Vorbild einer „edlen Einfalt, einer stillen Größe” zu loben, als Vorschein menschlichen Gelungenseins, so daß wir sagen dürften, es sei eine Freude, ihn unter uns zu haben ...; in <i>einem andern</i> aber jemand wahrzunehmen, der wohl glänzt und etwas von sich hermacht, sich im Erfolg sonnt und wie im Coup die Bühnen seiner Welt einnimmt, und doch ist alles bloß Fassade, vorgemacht, Dekor, und von einem Innern, von Gehalt, von einem wohlbegründeten Interesse, das wir an ihm nehmen könnten, kann keine Rede sein. Das Urteil, das zu unterscheiden wüßte, könnte lauten: Jener <i>leuchtet</i>, dieser <i>blendet</i>.
Oder nochmals anders: Die gedachte „intellektuelle Urteilskraft”, die zu unterscheiden weiß, wüßte etwa <i>von dem einen</i>, er sei ein Individuum aus einem Guß, von einer Richtigkeit und Überzeugungskraft, die ihr Maß allein in diesem einen Menschen als diesem einen Beispiel hat, im Grunde diesem einzigen; und dann <i>von einem andern</i>, der ein Fall von diesem oder jenem Schlag von Menschen ist, ein Typus, dem wir hier und dort begegnen, schon oft begegnet sind, ein Exemplar wie die Kopie eines vervielfältigten Musters, einer, den wir im Augenblick, da er uns begegnet, eigentlich schon kennen.
Warum so viele Worte über eine solche ‒ nach der Verabschiedung der Tugenden und Laster uns fatalerweise fehlende ‒ Befähigung zur gültigen Kritik des Menschen, die zu unterscheiden wüßte, die zu unterscheiden sich getraute?
Weil sich eben so dieser vorzügliche kleine Roman des Jubilars Fontane lesen läßt, statt ihn in den Mühlen eines öden Literaturunterrichts analytisch klein zu häckseln.
Da ist das Mädchen Lene, Magdalene eigentlich, die Unvergleichliche, von der man sagt, sie sei die überzeugendste Frauengestalt, die Fontane je geschaffen habe. Ich stimme diesem Urteil zu. Und da ist die andere, die Vorgesehene, zuletzt die Rechtmäßige: Käthe, begütert, angesehen, glamourös, umworben, doch für den, der Augen hat, unfreiwillig komisch, so wie sie selber alles „komisch” findet. Von ihr heißt es, sie entbehre „der Fähigkeit, zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen zu unterscheiden. Und was das schlimmste war, sie betrachtete das alles als einen Vorzug.”
Von Lene hingegen sagt Fontane mit feiner Schlichtheit, ihre Eigenart sei „Einfachheit, Wahrheit und Unredensartlichkeit”.
Vergleichbares ‒ wenn auch mit geringerer Ausprägung und weniger augenfällig ‒ gilt von den beiden Männern im Mittelpunkt dieses Romans, von Baron Botho und von Gideon, dem Konventikler. Und die vielen anderen? Der alte Onkel, ein Relikt versunkener Zeit, oder „die Dörr”, die Gärtnersfrau, die sich ein „Berliner Original” nennen ließe, sofern man unter „Original” das korrekte Abbild eines Typs verstünde?
Anforderungen an ein differenzierendes Urteilsvermögen auch sie, wenngleich solche mit bezifferbarer Zeitgeschichtsstelle: Exemplare einer gesellschaftlich geprägten Spezies, die ihr Recht hatten, doch mit der Gesellschaft, der sie zugehörten, dies Recht auch wieder einbüßen mußten.
Damit ist ‒ skandalös genug ‒ gemeint: Uns wäre eine profunde Urteilsbefähigung nötig, die berechtigen würde, <i>diesem </i>Menschen unsere höchste Achtung und Wertschätzung zuzuerkennen, ihn mit guten Gründen als Vorbild einer „edlen Einfalt, einer stillen Größe” zu loben, als Vorschein menschlichen Gelungenseins, so daß wir sagen dürften, es sei eine Freude, ihn unter uns zu haben ...; in <i>einem andern</i> aber jemand wahrzunehmen, der wohl glänzt und etwas von sich hermacht, sich im Erfolg sonnt und wie im Coup die Bühnen seiner Welt einnimmt, und doch ist alles bloß Fassade, vorgemacht, Dekor, und von einem Innern, von Gehalt, von einem wohlbegründeten Interesse, das wir an ihm nehmen könnten, kann keine Rede sein. Das Urteil, das zu unterscheiden wüßte, könnte lauten: Jener <i>leuchtet</i>, dieser <i>blendet</i>.
Oder nochmals anders: Die gedachte „intellektuelle Urteilskraft”, die zu unterscheiden weiß, wüßte etwa <i>von dem einen</i>, er sei ein Individuum aus einem Guß, von einer Richtigkeit und Überzeugungskraft, die ihr Maß allein in diesem einen Menschen als diesem einen Beispiel hat, im Grunde diesem einzigen; und dann <i>von einem andern</i>, der ein Fall von diesem oder jenem Schlag von Menschen ist, ein Typus, dem wir hier und dort begegnen, schon oft begegnet sind, ein Exemplar wie die Kopie eines vervielfältigten Musters, einer, den wir im Augenblick, da er uns begegnet, eigentlich schon kennen.
Warum so viele Worte über eine solche ‒ nach der Verabschiedung der Tugenden und Laster uns fatalerweise fehlende ‒ Befähigung zur gültigen Kritik des Menschen, die zu unterscheiden wüßte, die zu unterscheiden sich getraute?
Weil sich eben so dieser vorzügliche kleine Roman des Jubilars Fontane lesen läßt, statt ihn in den Mühlen eines öden Literaturunterrichts analytisch klein zu häckseln.
Da ist das Mädchen Lene, Magdalene eigentlich, die Unvergleichliche, von der man sagt, sie sei die überzeugendste Frauengestalt, die Fontane je geschaffen habe. Ich stimme diesem Urteil zu. Und da ist die andere, die Vorgesehene, zuletzt die Rechtmäßige: Käthe, begütert, angesehen, glamourös, umworben, doch für den, der Augen hat, unfreiwillig komisch, so wie sie selber alles „komisch” findet. Von ihr heißt es, sie entbehre „der Fähigkeit, zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen zu unterscheiden. Und was das schlimmste war, sie betrachtete das alles als einen Vorzug.”
Von Lene hingegen sagt Fontane mit feiner Schlichtheit, ihre Eigenart sei „Einfachheit, Wahrheit und Unredensartlichkeit”.
Vergleichbares ‒ wenn auch mit geringerer Ausprägung und weniger augenfällig ‒ gilt von den beiden Männern im Mittelpunkt dieses Romans, von Baron Botho und von Gideon, dem Konventikler. Und die vielen anderen? Der alte Onkel, ein Relikt versunkener Zeit, oder „die Dörr”, die Gärtnersfrau, die sich ein „Berliner Original” nennen ließe, sofern man unter „Original” das korrekte Abbild eines Typs verstünde?
Anforderungen an ein differenzierendes Urteilsvermögen auch sie, wenngleich solche mit bezifferbarer Zeitgeschichtsstelle: Exemplare einer gesellschaftlich geprägten Spezies, die ihr Recht hatten, doch mit der Gesellschaft, der sie zugehörten, dies Recht auch wieder einbüßen mußten.
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