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Gerd B. Achenbach über Jakob Burckhardt: "Unser Knirpsthum: Größe ist, was wir nicht sind"

Freitag-Vortrag vom 15. Juni 2018
CD Nr. 539
Der alte Goethe hätte die Zwei, beide 1818 geboren - beide im Mai -, noch auf seinen Knien haben können:
Auf dem linken Karl Marx, auf dem andern Jacob Burckhardt. Wer von beiden aber der „größere” war - wer weiß?
Der eine der Vordenker der Revolution, der andere, seinem eigenen Bekennen nach „modernitätsmüde”, entwickelte eine Vorliebe für „verrottete Zeiten”.

Jürgen Kaube nannte Burckhardt in seiner kürzlich erschienenen Erinnerung an ihn „altgierig” und einen „aristokratischen Denker”, was er mit einem Gedanken des Alexis de Tocqueville erläuterte, der nämlich auch „über die Wirkungen der modernen Gesellschaft auf die Geschichtsschreibung nachgedacht” habe:

In aristokratischen Epochen, schreibt er, werde viel den großen Einzelnen ... zugerechnet, in demokratischen hingegen seien zur Erklärung historischer Ereignisse anonyme Kräfte beliebt: Rasse, Geographie, Klima, Ökonomie, Kultur und so weiter. Die aristokratische Historie sehe alles abhängig von wenigen Personen, die demokratische kenne nur Individuen, die relativ unabhängig voneinander und nur durch ›Gesetze‹ oder ›Kräfte‹ verbunden seien. Aristokratische Historie komme ohne Theorien aus, hingegen sei noch die armseligste moderne Gesellschaftsdeutung voll von ihnen.

Zusammengefaßt:

Die aristokratische Geschichtsschreibung sieht ... die Freiheit weniger, die demokratische nur die Ohnmacht aller.


Eine gute Voraussetzung, über Burckhardts höchst „unzeitgemäße Betrachtungen” zur historischen Größe, die er „ein Mysterium” nennt, nachzudenken.
Berühmt ist seine Bemerkung, auf den Rand eines Vorlesungsmanuskripts notiert:

Sprichwort: »Kein Mensch ist unersetzlich« - aber die Wenigen die es eben doch sind, sind groß.

Das im Titel für diesen Abend zitierte „Knirpsthum”, das er für die Gegenwart als charakteristisch ansah,
wird dort übrigens mit „unserer Zerfahrenheit und Zerstreuung” in Zusammenhang gebracht ...
 
 




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